Burckhardt, Herzog, Minke. Drei Pioniere des ökologischen Bauens an der Gesamthochschule Kassel
13.12.2022–12.01.2023
ASL Neubau, Universitätsplatz 9
34127 Kassel
Die 1973 an der neuen Gesamthochschule Kassel initiierten Reformstudiengänge Architektur, Stadtplanung und Landschaftsplanung (ASL) galten als radikales Bildungsexperiment in der bundesdeutschen Hochschullandschaft. Die Berufung junger, innovativer Hochschullehrer:innen untermauerte den Aufbruchsgeist auch personell. Lucius Burckhardt, Thomas Herzog und Gernot Minke stehen für drei unterschiedliche Wege des ökologischen Bauens seit den 1970er Jahren: Partizipation und Planungskritik, biobasierte Baustoffe und Low-Tech sowie solare Architektur und technologischer Fortschritt.
Gernot Minke gilt international als Pionier des Lehmbaus. Er gründet in Kassel das Forschungslabor für Experimentelles Bauen (FEB). Auf dem Experimentiergelände neben der Kunsthochschule errichtet er prototypische Bauten und entwickelt technische Instrumente. Hier entstehen Grundlagenforschungen zum Bauen mit Lehm, Bauen mit lebenden Pflanzen, Low-Cost Bauen und Strohballenbau. Seine Publikationen gelten als Standardwerke und sind in zwölf Sprachen übersetzt.
Thomas Herzog entwickelt in Kassel die Themenpalette seines Schaffens. Er experimentiert mit Ansätzen für solare Architektur und gibt damit entscheidende Impulse für die aktive und passive Nutzung von Sonnenenergie. Sein Hauptthema wird die energieeffiziente Gebäudehülle, die er mit Pflanzen, mechanischen Vorrichtungen und später insbesondere mit High-Tech-Materialien zu optimieren sucht.Für seine Konstruktion aus Holz und Glas wird er früh mit wichtigen Preisen ausgezeichnet.
Lucius Burckhardt schafft als Soziologe mit seiner Planungskritik Zugänge für eine partizipative Stadtpraxis, die bei den Studierenden in der reformorientierten Bildungslandschaft in Kassel auf fruchtbaren Boden trifft. Die Wertschätzung des Baubestands ist für ihn auch eine soziale Forderung, das Weiterbauen statt Abriss und Neubau Maxime für eine umweltgerechte Stadt. Er gilt als Erfinder der Spaziergangswissenschaft und ist Autor einer Vielzahl einflussreicher Texte für Architektur und Stadtplanung.
Das am ASL praktizierte „Kasseler Modell“ stellte überkommene pädagogische Konzepte, institutionelle Strukturen und fachliche Inhalte in Frage. Es verfolgte eine starke gesellschaftliche Agenda und dachte die Beziehung zwischen Wissenschaft, Planung und Gesellschaft neu. Das Modell und ihre progressiven Akteure sind vor dem Hintergrund der aktuellen Klimakrise und gesellschaftlichen Spannungen von besonderer Aktualität.